Gähnendes rotes Kätzchen
Foto: Vicky Morrison/pixabay

Telemedizin in der Tierheilpraxis

tiernaturgesund im Gespräch mit Annette Dragun

„Hilfe für dein Tier – egal wo ihr wohnt“, versprichst du auf deiner Webseite www.online-tierheilpraktiker.de. Kann das funktionieren?

Das kann es nicht nur, das funktioniert in der Realität schon seit Jahren. Wichtig ist, dass das Angebot nicht mit einer Fernheilung gleichzusetzen ist.

Sondern?

Ich biete eine Beratung und eine Therapiebegleitung an in dafür geeigneten Fällen, also bei Gesundheitsproblemen von Katzen und Hunden.

Du kannst aber aus der Ferne nicht alle Krankheiten behandeln, oder?

Die natürliche Grenze ist dort gesetzt, wo manuelle Therapien notwendig sind: Natürlich kann ich keine Massage per E-Mail oder Zoom durchführen. Wenn ich aber aufgrund meiner Fallaufnahme zu dem Schluss komme, dass dem Patienten Physiotherapie oder Osteopathie helfen könnte, dann empfehle ich das und helfe bei Bedarf auch bei der Therapeutensuche vor Ort.

Aus welchen Gründen konsultieren dich die Hunde- und Katzenhalter?

Sehr unterschiedlich. Einige laborieren schon seit Jahren an den Gesundheitsproblemen ihrer Lieblinge und brauchen mal eine frische Einschätzung. Andere machen sich Sorgen aufgrund von Verhaltensänderungen und wollen von mir wissen, ob das Tier untersucht werden muss. Die subtilen Zeichen der Katzen und Hunde für Schmerzen oder Unbehagen sind nicht für jeden Tierbesitzer interpretierbar. Je nach Beschreibung schicke ich sie dann zum Tierarzt oder Tierheilpraktiker in der Nähe – oder ich beruhige sie.

Und wenn sie schon vor Ort in Behandlung sind?

Häufig wünschen die TierhalterInnen eine andere Sichtweise, oder sie möchten eine zweite oder dritte Meinung hören. Bei chronischen Erkrankungen verzetteln sich manche vor lauter Sorge. Die haben schon diverse Tierärzte und andere Therapeuten sowie mehrere Ernährungsberater aufgesucht, sitzen jetzt zu Hause mit unterschiedlichen Behandlungsanweisungen und einer Riesenbatterie von Arzneimitteln und wissen nicht mehr, was richtig und was falsch ist.

Aber dann bist du ja auch nur ein weiterer Therapeut?

Ich lasse mir zunächst alle bisherigen Befunde geben. Blutuntersuchungen, Kotanalysen, Röntgen- und Ultraschallbefunde, Ergebnisse von anderen Untersuchungen. Dazu fordere ich eine detaillierte Liste mit allem, was in das Tier hineinwandert. Futter, Nahrungsergänzung, homöopathische oder andere Arzneimittel und Medikamente. In der Anamnese, dem eingehenden Gespräch mit dem Tierhalter, finde ich dann heraus, was bisher schon gemacht wurde und wie der Patient drauf angesprochen hat. Im Grunde sortiere ich einmal alles rund um die bisherigen Behandlungen komplett durch und ordne ein, was sinnvollerweise der nächste Schritt ist oder welche Maßnahmen erfolgsversprechend sind. So arbeite ich übrigens auch mit meinen Patienten vor Ort.

Das hört sich aufwendig an.

Ist es auch, zumindest, wenn das Tier schon lange krank ist. Dann wächst bei den Haltern die Unsicherheit.

Wie kommt das?

Häufig fehlt es an klarer Kommunikation. Was dem Halter eines kranken Tieres nicht bewusst ist: Ein Anfangserfolg ist in der Medizin schnell zu verzeichnen und meist recht deutlich. Aber die Erfolgskurve verflacht, die Fortschritte werden immer kleiner. Wenn dann eine scheinbare Stagnation eintritt, das geliebte Tier immer noch nicht gesund ist, werden die Besitzer nervös. Darüber hinaus gibt es in vielen Sprechstunden nicht genügend Zeit, auf Fragen einzugehen. Und wenn jemandem dann kurz nach dem Tierarztbesuch noch einfällt, was man unbedingt gefragt haben wollte, ist es schwierig.

Ist das bei dir anders?

Ich bin ja mit meiner Dienstleistung auf die modernen Kommunikationsmöglichkeiten angewiesen. Viele meiner Klienten stellen schnelle Fragen zwischendurch per E-Mail oder Messenger. Wann immer möglich, bekommen sie eine schnelle Antwort auf dem gleichen Weg. Ist das Thema zu umfangreich, vereinbare ich einen Gesprächstermin. Egal wie, natürlich muss ich die aufgewendete Zeit in Rechnung stellen. Aber die von mir begleiteten Hunde- und Katzenbesitzer sind froh, wenn sie schnelle und klare Auskünfte bekommen.

Das hört sich so an, als gäbe es in deiner Praxis keine Nachteile, wenn der Patient weit weg ist.

Manchmal ist das sogar vorteilhaft. Ich kann in aller Ruhe die Befunde studieren, was in normalen Präsenzsprechstunden kaum möglich ist. Auch meiner Anamnese, dem Gespräch mit dem Tierhalter, sind keine zeitlichen Grenzen gesetzt. Wenn nötig, kommuniziere ich mit anderen involvierten Therapeutinnen und Tierärztinnen. Aber immer mit Blick aufs Ganze. So kann es dazu kommen, dass ich Zusammenhänge erkenne, die vorher nie wahrgenommen wurden.

Zum Beispiel?

Erst vor kurzem konsultierte mich eine Frau wegen ihres Hundes, der schon lange quälende Magenprobleme hatte. Er war in den letzten drei Jahren mehrfach komplett durchgecheckt worden. Und ja, er hatte eine chronische Gastritis. Und er wurde schon lange behandelt, nur leider ohne nachhaltigen Erfolg. Warum? Weil die Ursache nicht behoben wurde. Bei der Sichtung der Befunde fielen mir mehrere Hinweise auf Schmerzen im Bewegungsapparat auf. Zwei Tierärzte hatten neben der Gastritis ein Rückenleiden diagnostiziert. Aber bei der Behandlung haben sich alle Therapeuten nur auf den Magen konzentriert. Dass chronische Schmerzen Stress verursachen, und dass dieser Stress die Magenschleimhaut reizen kann, hat offensichtlich niemand in Erwägung gezogen.

Sicherlich fragen auch viele wegen Allergien bei dir um Rat?

Oh ja, sehr viele. Das ist ein komplexes Krankheitsbild, und in vielen Fällen hapert es schon an der Diagnostik. Der Klassiker ist die Aussage: „Wir haben schon X-mal das Futter gewechselt, aber er juckt sich immer noch.“ Meist bin ich die erste Therapeutin, die den Unterschied zwischen Futter- und Umweltallergien erklärt. Und dann entwickeln wir eine Strategie, um herauszufinden, worauf denn das Tier überhaupt reagiert. Erst nach der Diagnose kommt die Therapie.

Was machst du, wenn weitere klinische Untersuchungen nötig sind?

Wenn ich Blutwerte brauche oder wenn ich denke, dass Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen notwendig sind, schicke ich die Klienten zum Tierarzt oder zur Tierklinik ihres Vertrauens. Für manche Kot- oder Haaruntersuchungen können sie das Material selbst an das zuständige Labor schicken. Den Probenbegleitschein bekommen sie von mir in digitaler Form zum Ausdrucken.

Was passiert, nachdem du den Fall analysiert hast?

In der Regel bekommt der Tierhalter eine ganzheitliche Therapieempfehlung. Ob Homöopathie oder Heilkräuter, Vitalpilze, Organotherapie oder Bachblüten, ich beschreibe detailliert, was das Tier braucht, wo man es bezieht und wie lange und in welcher Dosierung es zu geben ist. Auch die Ernährung überprüfe und optimiere ich.

Die Erwartungen sind sicher hoch. Wie gehst du damit um?

Ich erkläre schon im ersten Gespräch, dass ich keine Wunder vollbringen kann. Und Garantien gibt es sowieso nicht. Manchen Klienten sage ich von vornherein, dass sie keine Heilung erwarten können. Gerade bei alten, bei multimorbiden oder bei krebskranken Patienten freuen wir uns schon über eine Stagnation, über die Erhaltung eines lebenswerten Zustandes. Da bin ich Pragmatiker, und ich bin immer offen und ehrlich in meinen Einschätzungen. Doch gerade das, so höre ich immer wieder, schätzen die Klienten. Falsche Hoffnungen zu wecken, hilft doch niemandem.

Foto von Annette Dragun mit Hund Bodo am Strand.
Zur Person

Annette Dragun ist Tierheilpraktikerin seit 1999. Sie lebt und praktiziert im nördlichsten Schleswig-Holstein. Entfernt wohnenden Patienten bietet sie Beratung und Therapiebegleitung aus der Ferne an. Als Fortbildungsdozentin gibt sie ihr Wissen an andere Tierheilpraktiker und Tiertherapeuten weiter. Ihre Buch-Ratgeber richten sich an Tierhalter, u.a. „Tierischer Juckreiz – Allergien bei Hunden verstehen und behandeln“ und „Tierisch Grau – so bleibt der Seniorhund gesund“.

https://www.online-tierheilpraktiker.de

Foto: privat/Annette Dragun mit Hund Bodo

In eigener Sache:

Ein spannendes Thema. Telemedizin setzt sich immer mehr durch. Ob Tierarzt, Tierheilpraktiker oder Tierernährungsberater. So wie Annette Dragun ihre Herangehensweise beschrieben hat, ist der Nutzen nachvollziehbar und die Möglichkeit sich trotz größerer Entfernung kompetent beraten zu lassen sicher eine wertvolle Ergänzung.

Aber geht „Online“ wirklich in jedem Fall? Sogar Angebote für Hundetraining und Haustierberatung gibt es mittlerweile. Sollte jedoch in manchen Fällen nicht besser das gesamte Verhalten vor Ort analysiert werden, z.B. bei Problemhunden?

Hast du schon für dein Tier Telemedizin oder Onlineberatung in Anspruch genommen? Lass auch andere Tierhalter von deiner Erfahrung profitieren, kommentiere unten oder schreibe uns an redaktion(at)tiernaturgesund.de. Auf Wunsch werden wir deine Daten nicht mit veröffentlichen!

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